Russisches Verteidigungsministerium meldet Abzug einiger Truppen von Ukraine-Grenze
„Einige Truppen“ haben russischen Angaben zufolge ihre Manöver beendet, Großmanöver seien aber noch nicht vorbei. Deutschlands Kanzler Scholz ist zu Gesprächen in Moskau
Moskau – Einige der seit Wochen an der Grenze zur Ukraine stationierten russischen Truppenteile haben laut einer Mitteilung des russischen Verteidigungsministeriums ihre Manöver beendet. Sie seien bereits dabei, ihr Material für die Rückkehr in ihre Basen bereitzumachen. Die Verladung habe schon begonnen. In der Meldung, die über die Agentur Interfax verbreitet wurde, ist spezifisch von Truppen in den „südlichen und westlichen“ Militärbezirken die Rede. Das sind jene, die an die Ukraine grenzen. Allerdings heißt es in der Mitteilung auch, dass die Großmanöver im ganzen Land vorerst weitergehen.
Eine unabhängige Bestätigung dafür, dass die Soldaten ihr Material tatsächlich für die Rückkehr in ihre Basen bereitmachen, stand vorerst aus. Zudem ist unklar, wie viele der deutlich über 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine von dem angekündigten Rückzug betroffen wären. Westliche Regierungen hatten zumindest am Vortag noch einen weiteren Aufmarsch an der Grenze beobachtet. In der Vergangenheit haben sich Russlands offizielle Verlautbarungen nicht immer als zuverlässig erwiesen. Die USA und ihre Partner verdächtigen Russland, einen Einmarsch in der Ukraine zu planen. In einer ersten Reaktion erklärte das ukrainische Außenministerium: „Wir glauben erst an Deeskalation, wenn wir den Abzug sehen.“
Moskau dementiert Einmarschpläne
Allerdings ließen auch Äußerungen aus dem russischen Außenministerium auf einen Rückzug schließen. Dessen Sprecherin Maria Sacharowa sagte, der 15. Februar werde als jener Tag „in die Geschichte eingehen, als die westliche Kriegspropaganda in sich zusammengebrochen ist“. Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete Berichte über einen Einmarsch in der Ukraine als „Informationsterrorismus“ und betonte, dass Russlands Dialog mit dem Westen weitergehen werde.
Auch der Kreml tat Einmarschpläne als „Hysterie“ ab und erklärte, entsprechende Warnungen würden jeglicher Grundlage entbehren. Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte bereits bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin am Montag gesagt, dass sich einige der großen Manöver dem Ende näherten.
USA gehen von Angriff aus
Die USA hatten ihre Warnung vor einem Angriff Russlands auf die Ukraine auch nach den Aussagen Schoigus am Montag noch bekräftigt. „Wir sind zutiefst besorgt, dass Russland bereits in dieser Woche Maßnahmen gegen die Ukraine ergreifen könnte“, sagte Außenminister Antony Blinken dem Sender France 24. „Alles, was wir in Bezug auf die Stationierung russischer Streitkräfte um die Ukraine, an allen Seiten der Ukraine, sehen, lässt uns zu diesem Schluss kommen.“ Die USA und viele andere westliche Länder hatten auch ihr Botschaftspersonal und ihre Staatsbürger zur Ausreise aus der Ukraine aufgefordert.
Die USA hatten zuvor erklärt, dass sie einen russischen Einmarsch noch vor Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich halten. Sie verlegen daher als „Vorsichtsmaßnahme“ vorübergehend ihre ukrainischen Botschaftsgeschäfte von der Hauptstadt Kiew in die Stadt Lwiw (Lemberg) an der Grenze zu Polen. Am Samstag hatte es aus dem US-Außenministerium geheißen, das Personal in der Botschaft in Kiew werde „auf ein absolutes Minimum“ reduziert.
Österreichs Botschaftspersonal bleibt
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) kritisierte den Abzug von Botschaftspersonal aus der Ukraine. „Ich halte es für ein fragwürdiges Zeichen gegenüber den Menschen in der Ukraine, wenn man frühzeitig seine eigenen Diplomaten rausholt“, sagte Schallenberg den Zeitungen der deutschen Funke-Mediengruppe. Er habe entschieden, „dass die Mitarbeiter der österreichischen Botschaft genau in dieser volatilen Phase dort bleiben müssen, solange es nur irgendwie vertretbar ist“.
Schallenberg äußerte zugleich Erwartungen an die Moskau-Reise des deutschen Kanzlers Olaf Scholz am Dienstag. „Wir sind offen für ernsthafte Gespräche mit Moskau, signalisieren aber auch ganz klar, welche massiven politischen und wirtschaftlichen Kosten auf Russland zukommen würden, wenn es eine weitere militärische Aggression gegenüber der Ukraine geben wird“, sagte er. „Ich bin überzeugt, dass Bundeskanzler Scholz dieser gemeinsamen europäischen Position in Moskau weiter Gewicht verleihen wird.“
Scholz ist am Dienstagvormittag in Moskau gelandet. Vor den Gesprächen betonte Kreml-Chef Putin, dass die russisch-deutsche Energiekooperation für Moskau Priorität habe. Scholz hatte zuvor – so wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche – abgelehnt, sich vor seinem Treffen mit Putin von russischer Seite auf das Coronavirus testen zu lassen. Der für den Zutritt zum Kreml erforderliche PCR-Test sollte in Moskau von einer Ärztin der deutschen Botschaft vorgenommen werden. Die russischen Gesundheitsbehörden seien eingeladen worden, bei dem Test dabei zu sein, das Testgerät sei aus Deutschland mitgenommen worden.
Umstrittene Separatistengebiete
Inmitten der Spannungen forderte das russische Unterhaus Putin am Dienstag auf, die beiden umstrittenen ukrainischen Separatistenrepubliken Donezker und Luhansker Volksrepublik (DVR und LVR) anzuerkennen. Die Kreml-Partei Einiges Russland hatte am Montag dazu einen Antrag eingebracht.
„Im Falle der Anerkennung tritt Russland de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen mit allen Begleiterscheinungen aus“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Der unter deutsch-französischer Vermittlung 2015 vereinbarte Friedensplan sieht eine Wiedereingliederung der prorussischen Separatistengebiete in die Ukraine mit weitreichender Autonomie vor. (mesc, maa, APA, 15.2.2022)